Internationales Forschungsteam unter Federführung der Goethe-Universität widerlegt ein jahrzehntelang populäres Konzept
Entzündungen
werden entgegen einem seit fast 30 Jahren propagierten Konzept offenbar nicht
aktiv mit spezialisierten Lipiden beendet, die unser Körper aus mehrfach
ungesättigten Omega-3-Fettsäuren bildet. Zwar lassen sich solche Resolvine oder
Lipoxine unter Laborbedingungen herstellen, physiologisch spielen sie jedoch
höchstwahrscheinlich keine Rolle. Das belegt ein Review eines internationalen
Forschungsteams um Prof. Dieter Steinhilber von der Goethe-Universität
Frankfurt. Ausgangspunkt dieser Arbeit, die unter Fachleuten viel Aufsehen
erregt hat, waren experimentelle Befunde des DFG-Graduiertenkollegs „Auflösung
von Entzündungsreaktionen“ (AVE) an der Goethe-Universität.
FRANKFURT. Entzündungen entspringen einer aktiven Abwehrreaktion
unseres Immunsystems. Sie klingen normalerweise von selbst ab. Einst wurde
angenommen, dass sei ein passiver Prozess, weil die beteiligten Immunzellen
nach getaner Arbeit allmählich absterben oder abwandern. Heute wissen wir, dass
unser Körper auch das Abklingen einer Entzündung aktiv steuert. Zu diesem Zweck
verwandeln sich unter anderem bestimmte Zellen des angeborenen Immunsystem, so
genannte entzündungsfördernde M1-Makrophagen, die primär der Verteidigung dienen,
in entzündungsauflösende M2-Makrophagen, die primär in der Wundheilung wirken.
Als ein wichtiger molekularer Effekt dieser Verwandlung galt
bisher die Bildung spezialisierter entzündungsauflösender Mediatoren (SPMs).
Seit ihrer Entdeckung im Jahr 1984 gaben sie einer weltweit immer größer
werdenden Gruppe von „Resolutionisten“ Anlass zu der Hoffnung, eines Tages mit synthetischen
„Entzündungsauflösern“ (Resolvinen) therapeutisch in entzündliche Prozesse
eingreifen zu können.
Die derzeit verfügbaren Medikamente gegen Entzündungen und deren
Symptome – wie zum Beispiel die Acetylsalicylsäure und die Cox-2-Inhibitoren – wirken
dagegen als Gegenspieler (Antagonisten) bestimmter Reaktionen des
Arachidonsäurestoffwechsels, die proinflammatorische Gewebshormone generieren.
Dazu gehören einerseits Thromboxan und die Prostaglandine, andererseits die Leukotriene.
Nur zwei Stoffwechselschritte von der Arachidonsäure entfernt entstehen auch die
SPMs, denen bislang eine anti-inflammatorische Wirkung zugeschrieben wurde.
Tatsächlich zeigte eine Doktorarbeit am 2017 etablierten Graduiertenkolleg
AVE der Goethe-Universität, dass entzündungsauflösende Makrophagen die beiden
Enzyme bilden, die für die Herstellung von SPMs notwendig sind. Allerdings
konnten erst unter nicht-physiologischen Bedingungen – die Forscher:innen gaben
Stimulatoren dazu, die die Durchlässigkeit der Membran der Makrophagen für Kalzium
erhöhten (Ionophore) – , winzige Mengen von SPMs nachgewiesen werden. Selbst
wenn man, wie eine weitere Dissertation zeigte, Zellkulturen bestimmter weißer
Blutzellen (neutrophiler Leukozyten) bereits vorbehandelte Substrate dieser
Enzyme zufügte, wurden diese Substrate darin kaum umgesetzt.
Ein weiteres Verdachtsmoment ergab sich durch frühere Arbeiten über
SPM-Rezeptoren von Prof. Stefan Offermanns, der wie Prof. Steinhilber
Projektleiter im an der Goethe-Universität verankerten Sonderforschungsbereich „Krankheitsrelevante
Signaltransduktion durch Fettsäurederivate und Sphingolipide“ ist. Bei der
Studie konnte keine Wirkung von Lipoxin A über den entsprechenden G-Protein-gekoppelten
Rezeptor festgestellt werden. Über diese Rezeptoren übermitteln Lipidmediatoren
ihre Signale. Im Blutplasma von gesunden Probanden ließen sich SPMs selbst
mittels sensitivster und selektivster Verfahren (Kopplung von Chromatographie
und Massenspektrometrie) zudem bestenfalls im einstelligen Pikogrammbereich
finden.
Ausgehend von diesen Befunden durchforstete das Forschungsteam um
Prof. Dieter Steinhilber alle bisher erschienenen Publikationen zum Thema SPMs.
Dieses Review bestätigte ihre Dekonstruktion des SPM-Konzeptes: Menschliche
Leukozyten, zu denen auch Makrophagen gehören, können bestenfalls geringe
Mengen an SPMs synthetisieren. Diese Mengen sind so winzig, dass sie auch mit
modernster Analytik nicht verlässlich zu quantifizieren sind. Die SPM-Synthese
steht weder im Zusammenhang mit dem Abklingen einer Entzündungsreaktion noch
mit einer gezielten Zufuhr mehrfach ungesättigter Omega-3-Fettsäuren.
SPM-Rezeptoren sind bisher nicht valide nachgewiesen worden.
„Insidern war schon lange klar, dass das SPM-Konzept fragwürdig
ist“, sagt Dieter Steinhilber. „Bisher hat sich jedoch niemand die Mühe
gemacht, alle Zweifel zusammenzutragen.“ Es müsse einen anderen Mechanismus der
aktiven Entzündungsauflösung geben. „Denn der Wechsel von entzündungsfördernden
M1-Makrophagen zu entzündungsauflösenden M2-Makrophagen geht eindeutig mit
einer Veränderung des Lipid- und Zytokinprofils einher.“
„Die Suche nach den molekularen Signalen, mit denen unser Körper
überschießende oder chronische Entzündungen aktiv verhindert, bleibt spannend“,
sagt Prof. Bernhard Brüne, Vizepräsident der Goethe-Universität und Sprecher
des Graduiertenkollegs AVE. „Sie motiviert unsere weitere Forschung.“
Publikation: Nils Helge Schebb,
Hartmut Kühn, Astrid S. Kahnt, Katharina M. Rund, Valerie B. O'Donnell, Nicolas
Flamand, Marc Peters-Golden, Per-Johan Jakobsson, Karsten H. Weylandt, Nadine
Rohwer, Robert C. Murphy, Gerd Geisslinger, Garret A. FitzGerald, Julien
Hanson, Claes Dahlgren, Mohamad Wessam Alnouri, Stefan Offermanns, Dieter
Steinhilber: Formation, Signaling and
Occurrence of Specialized Pro-Resolving Lipid Mediators—What is the Evidence so
far? Frontiers
in Pharmacology (2022) https://doi.org/10.3389/fphar.2022.838782
Weitere Informationen
Prof.
Dr. Dieter Steinhilber
Institut für Pharmazeutische Chemie
Goethe-Universität Frankfurt
Tel. +49 (0)69 798-29324
Steinhilber@em.uni-frankfurt.de
https://www.uni-frankfurt.de/53483647/Arbeitskreis_Prof__Dr__Steinhilber
Redaktion: Dr. Markus Bernards, Referent für Wissenschaftskommunikation, Büro PR & Kommunikation, Telefon 069 798-12498, Fax 069 798-763-12531, bernards@em.uni-frankfurt.de