Forscherteam mit Beteiligung der Goethe-Universität schlägt erfolgreich ehemaligen Steinbruch in Niedersachsen als Global Stratotype Section and Point vor
Ein Wissenschaftsteam der Goethe-Universität Frankfurt, der Universität Warschau, des Landesamtes für Bergbau, Energie und Geologie (LBEG) in Hannover, und weiterer Institutionen hat in Salzgitter-Salder das gefunden, wonach Forscher mehr als 20 Jahre lang weltweit gesucht haben: Eine geologische Formation, die perfekt den Übergang der Kreidezeitalter Turon und Coniac abbildet. Das Team hat den ehemaligen Kalksteinbruch so genau charakterisiert, dass er nun als weltweiter Referenzpunkt für die Zeitenwende vor 89,4 Millionen Jahren gilt. Dies wurde von der International Union of Geological Sciences bekannt gegeben, die dem Schichtenprofil den Titel „Global Stratotype Section and Point“ (GSSP) verlieh.
FRANKFURT/HANNOVER. Das
internationale Team von Geowissenschaftlerinnen und Geowissenschaftlern um
Prof. Silke Voigt von der Goethe-Universität Frankfurt, Prof. Ireneusz
Walaszczyk von der Universität Warschau und Dr. André Bornemann vom Landesamt
für Bergbau, Energie und Geologie (LBEG) haben 40 Meter der geologischen
Schichtenfolge im ehemaligen Kalksteinbruch am Hasselberg eingehend untersucht.
Dabei stellten die Forscherinnen und Forscher fest, dass nur hier der Übergang
zwischen Turon und Coniac lückenlos ist und daher eine perfekte Gesteinsabfolge
darstellt, um Geowissenschaftlerinnen und Geowissenschaftlern aus aller Welt
als Referenz für deren Forschung zu dienen – als „Global Stratotype Section and
Point“ oder, im Jargon der Geowissenschaften, als „goldener Nagel“.
Mit dem Coniac treten bestimmte Muschelarten auf, so genannte
Inoceramen, die in Salder zahlreich zu finden sind. In Schicht 46 des Steinbruchs,
so stellte das deutsch-polnische Wissenschaftsteam fest, findet sich erstmals
die Inoceramen-Art Cremnoceramus deformis erectus und markiert damit die
Zeitengrenze, ebenso wie weitere Mikrofossilien und eine charakteristische
Änderung im Verhältnis der Kohlenstoffisotope 12C und 13C,
eine so genannte negative Anomalie im Kohlenstoffkreislauf.
„Damit können nun geologische Schichtenprofile wie zum Beispiel
marine Schelfsedimente in Mexiko oder der Tiefsee im tropischen Atlantik
miteinander verglichen und zeitlich eingeordnet werden“, erläutert Prof. Silke
Voigt. „Dies ist wichtig, um auch bei unvollständigen Schichtenprofilen eine
genaue zeitliche Einordnung vornehmen zu können und letztlich zu sehen, wie zum
Beispiel das Klima zu einem bestimmten Zeitpunkt der Vergangenheit an
verschiedenen Orten der Welt beschaffen war.“
Prof. Ireneusz Walaszczyk sagt: „Die Schichtenfolge in
Salzgitter-Salder konnte sich gegenüber anderen Kandidaten zum Beispiel in den
USA, in Indien, Madagaskar, Neuseeland und Polen durchsetzen, weil wir hier
über 40 Meter eine perfekte Gesteinsschichtenabfolge haben, die ein gut
definiertes Abbild der Ereignisse darstellt, die in diesem geologischen
Zeitintervall stattgefunden haben.“
„Das Zechsteinmeer hat vor mehr als 250 Millionen Jahren mächtige
Salzschichten im norddeutschen Becken hinterlassen“, erklärt André Bornemann.
„Die später abgelagerten Gesteinsschichten übten Druck auf diese Salzschichten
aus, die sich zum Teil zu großen Salzstöcken aufwölbten und damit jüngere Schichten
deformierten. In der Nähe eines solchen Salzstocks liegt Salder, sodass hier
die fossilreichen Gesteinsschichten der Kreidezeit steil aufgerichtet sind und
ein wunderbares, für wissenschaftliche Untersuchungen sehr gut zugängliches
Profil ergeben. Daher haben wir vom LBEG diesen Ort als Geotop ausgewiesen, und
dieser ist einer der bedeutendsten Geopunkte des UNESCO Geoparks
Harz-Braunschweiger Land-Ostfalen.“
Hintergrund:
Im Kalksteinbruch am Hasselberg bei Salder im Nordosten des
Salzgitterschen Höhenzuges wurden früher Kalksteine und Mergel für die
Zementindustrie und zum Schluss für die Erzaufbereitung abgebaut. Heute
befindet sich dort ein bekanntes Biotop und Geotop als Eigentum der Stiftung
Naturlandschaft, die vom BUND-Landesverband Niedersachsen eingerichtet wurde.
Während die Betreuung des Steinbruchgeländes der Kreisgruppe Salzgitter des
BUND übertragen wurde, kümmert sich der UNESCO Geopark Harz-Braunschweiger
Land-Ostfalen um den geowissenschaftlichen Part des Steinbruchs. Der Steinbruch
ist aus Naturschutzgründen nicht frei zugänglich, aber es werden gelegentlich
geführte Wanderungen angeboten.
Vor 90 Millionen Jahren, in der zweiten Hälfte der Kreide, war es
tropisch warm auf der Erde: Die eisfreien Pole sorgten für einen hohen
Meeresspiegel, Mitteleuropa bestand aus einer Schar von Inseln. Im Meer
entwickelten Ammoniten eine ungeheure Formenvielfalt, an Land herrschten die
Dinosaurier. Die ersten Blütenpflanzen begannen, Schachtelhalmen und Farnen
Konkurrenz zu machen. Vor 89,39 Millionen Jahren fing das Klima an, sich leicht
abzukühlen und der Meeresspiegel von seinem Höchststand etwas zu sinken: Ein
neuer erdgeschichtlicher Abschnitt, das Zeitalter Coniac, löste das Zeitalter
Turon ab.
Publikation: Voigt
S, Püttmann T, Mutterlose J, Bornemann A, Jarvis I, Pearce M, Walaszczyk, I
(2021) Reassessment of the Salzgitter-Salder section as a potential
stratotype for the Turonian–Coniacian Boundary: stable carbon isotopes and
cyclostratigraphy constrained by nannofossils and palynology. Newsl Stratigr, 54/2, 209–228, https://doi.org/10.1127/nos/2020/0615
Walaszczyk,
I., Čech, S., Crampton, J.S., Dubicka, Z., Ifrim, C., Jarvis,
I., Kennedy, W.J., Lees, J.A., Lodowski, D., Pearce, M. Peryt, D.,
Sageman, B., Schiøler, P., Todes, J., Uličný, D.,
Voigt, S., Wiese, F., With contributions by, Linnert, C., Püttmann, T.,
and Toshimitsu, S. (2021) The Global Boundary Stratotype Section and Point
(GSSP) for the base of the Coniacian Stage (Salzgitter-Salder, Germany) and its
auxiliary sections (Słupia Nadbrzeżna, central Poland; Střeleč, Czech Republic;
and El Rosario, NE Mexico). Episodes 2021; 44(2): 129-150l. https://doi.org/10.18814/epiiugs/2020/020072
Bilder zum Download:
https://www.uni-frankfurt.de/103366248
Bildtexte:
Salzgitter-Salder:
Eine perfekte Gesteinsschichtenabfolge über 40 Meter. (Foto: Silke Voigt,
Goethe-Universität Frankfurt)
GSSP
in Salzgitter-Salder: Die Schicht 46 markiert den Übergang der Kreidezeitalter
Turon und Coniac. Foto und Montage: Silke Voigt, Goethe University Frankfurt.
Fossil: Walaszczyk et al. (2010)
Weitere Informationen
Prof.
Dr. Silke Voigt
Geozentrum der Goethe-Universität Frankfurt
Tel: +49 69 798-40190
s.voigt@em.uni-frankfurt.de
https://www.uni-frankfurt.de/69718561/Homepage-Voigt
Prof.
Dr. Ireneusz Piotr Walaszczyk
Institut
für Historische und Regionale Geologie und Paläogeologie
i.walaszczyk@uw.edu.pl
https://usosweb.uw.edu.pl/kontroler.php?_action=katalog2/osoby/pokazOsobe&os_id=61076
Dr.
André Bornemann
über
Eike
Bruns
LBEG,
Pressestelle
Tel.:
+49 511 643-2274
presse@lbeg.niedersachsen.de
http://www.lbeg.niedersachsen.de